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Dians Moor-Walk und Putus Krebse-Appartement

Aktualisiert: 28. Sept.

Mangroven pflanzen für Mensch, Tier und Natur - ein One Chance e.V. Projekt


Heute verbreite ich etwas Waldwirtschafts-Gossip, weil ich es wichtig finde, dass ihr aus der Ferne ein Gefühl dafür bekommt, was die Menschen hier bewegt und antreibt und um zu zeigen, wie wichtig echte Verbindung in so einem gemeinsamen Natur-Projekt ist, das von ausländischem Geld finanziert wird.


Also hier das Vorspiel. Beamt euch mit maximaler sonntäglicher Kreativität und Phantasie mit mir in den balinesischen Mangrovenwald:

Nach einer rumpeligen dreistündigen Fahrt von Südwesten in den Nordwesten, halb schlafend, halb wach, kam ich um 9 Uhr morgens in Jembrana an. Leicht steifer Nacken, Schlaf in den Augen, etwas hungrig, aber wenigstens war ich vorher noch auf Toilette - insofern mit leerer Blase, schonmal gut. Aber hab ich jetzt Bock, bei 30 Grad durch den Mangroven-Wald zu stiefeln, ich weiß noch nicht so recht. Heul bloß leise Dian, denn Team Bendega stand bereits am Waldrand, begrüßte mich mit einem strahlenden Lächeln und reichte mir Riesen-Gummistiefel. Sie sind hier schon seit 7 Uhr morgens und arbeiten.

Ich ließ mich von der guten Laune der Jungs anstecken und plappere los: Apa kabar, sehat sehat, semangat yaaa. (=Wie geht’s, seid ihr gesund, wie läuft’s, auf geht’s). Die übliche balinesische Begrüßung, bei dem beide Seiten auf g a r keinen Fall eine Antwort erwarten.

Die Mangroven-Jungs gingen voran. Ich schnurstracks hinterher und fühlte mich kurz ganz cool in der Rolle als deutsch-indonesische Entwicklungshelferin mit XXL Stiefeln im Mangrovenwald. Alsbald bemerkte ich jedoch, dass der Mangrovenwald kein Catwalk ist. Im Gegenteil - volle Konzentration bitte. Bloß nicht hinfallen dachte ich und dann Ist das Matsch - oder schon Moor?

Mit einer Hand klammerte ich mich ans Handy, mit der anderen an Zweige, während ich wie angewurzelt langsam aber sicher in den Matsch sank. Okay, du solltest jetzt losgehen, oder willst du im Mangrovenwald in Zeitlupe versinken, fragte ich mich. Jeder Schritt war eine ganz besondere Form der Langsamkeitsübung - erst musste ich den einen XXL-Stiefel zügig aus dem Sog befreien, ohne ihn zu verlieren, dann schnell den anderen so unsexy Waden-schüttelnd aus dem Moor hinterherziehen. Jedes Mal dieses schmatzende Eintauchen, gefolgt von einem undefinierbaren Pflupp, Pflopp, Phupp oder Whopp beim Rausziehen. Erstaunlicherweise fiel ich nicht hin und konnte sogar am Ende gut Anschluss halten mit den Mangroven-Jungs.

Nach ein paar (vielen!) Metern Dians Moor-Walk stellte ich begeistert fest: So gut wie kein Müll. Stattdessen überall unzählige Krebse - manche in wunderschönen Farben, meist schwarz, die Babys fast durchsichtig.

Ich sah unsere Mangrövchen, die eindeutig gewachsen sind, ich sah aber auch ziemlich tote Pflanzen und frisch neu gepflanzte Setzlinge. Ich drehte mich zu Bendega und machte den Daumen hoch. Sie strahlten um die Wette. Schön. An dieser Stelle nochmals Danke an alle unsere Unterstützer in Good Old Germany.

Ich suchte mir einen etwas festeren Boden und blieb stehen. Es zirpte und zwitscherte und alles wirkte wie durch einen sanften Filter leicht unscharf. Ich sah die Hitze, fühlte die Feuchtigkeit und ich freute mich, dass die Natur hier alles hat, was sie braucht. Mutter Erde lebt. Geil.


Zufrieden stampfte ich mit Team Bendega zurück auf die Straße - Zeit für einen Schnack im kleinen Restaurant der Wana Mertha Community. Pak Putu, der Mangroven-Boss von Wana Mertha, erwartet uns schon. By the way: Pak ist die Abkürzung von Bapak=Herr.


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Wir hocken uns in eine Pergola. Pak Putu sitzt dort bereits im Schneidersitz. Als er mich sieht, steht er auf, begrüßt mich herzlich mit der Hand, die er dann zum Herzen führt. Ich lobe ihn und seine Community und auch Bendega für die tolle Zusammenarbeit und das große Commitment. Trotz der sintflutartigen Regenfälle überleben immerhin 70 % der Mangrovensetzlinge.


Zunächst ist das Gespräch etwas verkrampft, und ich überlege, ob ich lieber Deep Talk oder Basa Basi anzetteln soll. Basa Basi - das ist indonesischer Smalltalk. Höflich, oft oberflächlich, um eine angenehme Atmosphäre zu schaffen.

Ein bisschen rammdösig entscheide ich mich, einfach weiter die Zusammenarbeit zu loben. Beiläufig erwähne ich dann, etwas angestrengt:

„… nach einem erfolgreichen ersten Jahr könnte One Chance durchaus etwas Zusätzliches für die Wana Mertha Community unterstützen.“

Volltreffer. Damit werfe ich Holz ins Feuer. Pak Putu grinst, nickt und stimmt mir zu:

„Unbedingt. Ich suche schon lange jemanden, der mich bei meinem Appartement-Projekt unterstützen möchte.“

Ich muss ziemlich irritiert gucken, denn er lacht nur und meint:

„Keine Sorge, ich meine Appartements für meine Krebszucht.“

Erleichtert lache ich mit. Alle lachen. Aber hati-hati (= Obacht). Es ist nicht gut, wenn Balinesen das Gefühl haben, dass man zu viel Geld zur Verfügung hat - sonst verwechseln sie einen schnell mit einem wandelnden ATM-Automaten. Deshalb frage ich ziemlich direkt:

„Was unterstützt die neue Regierung denn hier? Vielleicht kann man sich die Kosten aufteilen.“

Pak Putu verdreht die Augen.

„Ibu …“ (Ibu = Frau auf Indonesisch) „bitte fang nicht von der Regierung an.“

Es folgt ein sehr unterhaltsamer Monolog über endlose Regierungsmeetings zum Thema Waldwirtschaft. Diskussionen, die irgendwo zwischen Nirwana und Nonsens schweben. Leere Versprechungen, die inzwischen schon eine gewisse Komik haben.

„… und am Ende wie immer kollektive Völlerei – immerhin“, seufzt Pak Putu.

Ich bin überrascht. Normalerweise sind balinesische Urgesteine wie Pak Putu nicht so frei Schnauze, wenn sie jemanden noch nicht so gut kennen.

Pak Putus Gesicht ist von der Sonne ledergegerbt, von Falten geprägt, seine Augen sind lebendig und freundlich. Dem macht niemand mehr etwas vor. Der hat das Bali-Theater voll im Griff.

„Stichwort Krebse-Appartement. Wieso, weshalb, warum, Pak Putu?“ frage ich.

„Das Krebse-Appartement ist gleichzusetzen mit einer integrierten Mangroven-Aquakultur. Krebse und Naturschutz in einem Paket. Die Tiere wachsen in natürlichen Wasserkanälen, während die Mangroven das Wasser klären und die Küste stabil halten. Ohne Chemie, ohne Stress fürs Ökosystem – und wir Farmer und Fischer haben auch was davon. Klingt nach Win-Win, oder? Einen Teil essen wir hier im Warung Mangrove, der Rest bleibt im Wasser.“

„Ich bin dabei!“, rufe ich Foodie-vorlaut.

Pak Putu: „Hier gibt’s kaum lokale Krebse - fast alles ist importiert. Na gut, vielleicht noch die aus Suwung.“

Fajar, Mitglied des Bendega-Teams, horcht auf.

„Suwung? Die Müllhalde Balis, direkt am Meer?“

Pak Putu lacht laut.

„Pfui Teufel. Krebse aus Suwung, einmalig auf der ganzen Welt!“

Alle lachen – leicht verzweifelt.

„In Indonesien denkt man verkehrt herum.“

„Wie meinst du das, Putu?“ frage ich.

„Alle sehen den Müll, alle wissen, dass er ein Problem ist – sogar die Kinder. Aber anstatt Lösungen zu finden, reden wir uns ein, dass nur der Tourismus Geld bringt. Und dann kommt immer dieses Education first-Blabla … Zu spät für Education, wenn man die Müllberge sieht. Außerdem sind die Kinder ja nicht dumm. In der Schule lernen sie alles über Mülltrennung und richtige Entsorgung, und sobald sie auf der Straße sind, sehen sie, wie der Müll rumfliegt und achtlos weggeworfen wird. Bisschen inkonsequent, würde ich als Kind denken, und das Thema Müll nicht ernst nehmen. Und dumm ist auch, die Natur nicht als Schatz zu sehen, sondern sie für den Tourismus zu zerstören.“

Bendega nickt:

„Alle wissen es, aber keiner macht den Mund auf.“

„Während die Regierung wegschaut, übernehmen lokale und ausländische NGOs die Mülltrennung und Müllentsorgung. Vielleicht liegt es an der Vergangenheit? Indonesien hat sich daran gewöhnt, von anderen abhängig zu sein. Klug oder einfach nur bequem?“, frage ich.

Ohne auf eine Antwort zu warten, rede ich weiter:

„Schwuppdiwupp landen wir im Deep Talk. He he he. Eigentlich not he he he … aber was soll man machen. Unser Mangroven-Projekt ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir können es nur versuchen. Gemeinsam.“

„Amin, Amin“, rufen alle gleichzeitig. Hier sagt man das Wort zweimal im Plural, und auch, wenn man etwas betonen möchte. Wer keine Lust hat, das Wort doppelt zu schreiben, setzt einfach die Zahl Zwei dahinter.

Es wird langsam Zeit, zurückzufahren, und ich überlege, welche schlauen Abschlussworte ich noch zum Besten geben könnte. Übermütig habe ich plötzlich eine Idee:

„Beim nächsten Monitoring möchte ich gerne ein paar Frauen aus der Wana Mertha Community interviewen, die bei der Pflanzung dabei waren. Unsere Unterstützer fänden es bestimmt spannend, ihre Perspektive zu hören.“

Ich blicke in ratlose Gesichter und drei Fragezeichen in der Luft. Ich grinse innerlich. Da ist sie wieder, die idealistische, bedeutungsschwangere, westliche Denke. Für Balinesen ganz weit weg von der Realität.

„Aber natürlich geht das“, beteuert Pak Putu mit einem freundlichen, höflichen und wohlwollenden Gesicht, das nichts verspricht. „Bisa, bisa“, fügt er noch hinzu. (= Geht, geht) Ein typisch indonesisches Versprechen - positiv und freundlich - vage und trügerisch.

Das also ist Entwicklungshilfe - ein langsames Herantasten, ein behutsames Aufeinander-Zugehen. Der Mangrovenwald, das Krebse-Appartement ist zunächst nur Kulisse, Nebenrauschen. Viel entscheidender ist, dass man sich erst einmal kennen und schätzen lernt. Denn erst wenn man sich auf Augenhöhe begegnet, kommt das Gefühl auf, füreinander und nicht nur für ein Projekt da zu sein. Ganz ohne erhobenen Zeigefinger.

Amin2.

PS.: Balinesen lieben Handzeichen auf Fotos: Die Kralle auf dem oberen Foto ist unter Waldwirtschaftsprofis das Handzeichen für Wurzeln.

Auf dem Gruppenfoto unten steht der mit der Hand geformte Buchstabe L für Love Lestari (= Liebe die Umwelt).


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Und auf dem nachfolgenden Bild lachen wir über das mit Daumen und Zeigefinger geformte Herz. Das könnte genauso gut für Money, Money, Money stehen.


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